Gedenken an die Reichspogromnacht

Gedenken an die Reichspogromnacht

Beitrag vom 08. November 2019


Heute vor 81 Jahren ereignete sich die sogenannte Reichspogromnacht. Eine Nacht, in der der faschistische Terror in Deutschland vorläufig seinen Höhepunkt erreichte. In den vorherigen und darauffolgenden Tagen wurden mehr als 400 Juden ermordet. Ihre Heime, Geschäfte, Gebetsstätten und Friedhöfe wurden geschändet und zerstört. Von dieser Nacht an wurden etwa 30.000 Juden nach Konzentrationslagern deportiert und fanden dort ihren Tod.

Der Nazi-Terror machte auch in Neumarkt keinen Halt. Alle 29 Jüdinnen und Juden, die in Neumarkt lebten wurden deportiert, wovon zwei an den direkten Folgen verstarben. Die Häuser wurden verwüstet, die Synagoge geschändet und bestohlen. Die Täter waren nicht nur Mitglieder der SA, sondern auch Bürger*innen aus der gesellschaftlichen Mitte. Bei den Gerichtsprozessen in den 1950er Jahren wurden bis auf drei Täter, welche eine Bewährungsstrafe erhielten, alle Täter freigesprochen. Dieses Beispiel zeigt nicht nur, dass es nie eine Aufklärung dieser Verbrechen in der BRD gab und der Faschismus immer noch tief im Gedankengut vieler Deutscher verankert war und ist. Dass heute wieder jeder vierte Deutsche antisemitische Ansichten vertritt, bestätigt und erschüttert uns. Alle Antifaschist*innen sind nun gefragt, den Rechtsruck der Gesellschaft bedingungslos und mit allen Mitteln zu bekämpfen. Es wird Zeit, dass wir in die Offensive gehen -  noch können wir es.

Zusammen mit dem „Antifaschistischen Aktionsbündnis für Menschlichkeit und Frieden" gedenken wir heute um 17 Uhr unserer deportierten jüdischen Mitbürger*innen am Denkmal zur Erinnerung an der Hallertorstraße/Ecke Ringstraße.

 

Die Chronik der Reichspogromnacht in Neumarkt:

Der 9. November 1938 war ein Feiertag – die NSDAP zelebrierte das 10-jährige Bestehen ihrer Ortsgruppe und verbrachte den Tag damit, den sogenannten „alten Kämpfern" zu gedenken, und das Dietrich-Eckart-Denkmal zu besuchen. Schließlich versammelten sich die Nazis sich im Lammsbräusaal und hörten der SA Kapelle zu.

Während dieser „Festlichkeit" verkündete Kreisleiter Dotzer, dass der Legationssekretär von Rath „feige von einem Juden überfallen wurde" und an seinen Verletzungen starb. Er rief den „Kampf gegen den jüdischen Weltfeind" aus. Die Schandtaten die daraufhin folgten werden später als „November letzter Punkt: Abrechnung mit den Juden auch in Neumarkt" bekannt.

Vor lauter Hass getrieben begannen die SA-Männer ihren Jagdzug durch die Altstadt. Bewaffneten sich in der Gaststätte „Wolfsschlacht" mit leeren Bierflaschen und zertrümmerten die Fenster der Synagoge. Anschließend forderten sie Äxte von den Anwohnern ein und schlugen die Tür damit ein.

Die nächsten Stunden wurden für die jüdischen Bewohner Neumarkts zur Hölle.

Die Synagoge wurde geschändet, Ritualgegenstände und die Einrichtung gestohlen und manch einer fand es noch lustig in den Gebetsgewändern zu tanzen.

Weiterhin wurden auch Scheiben des jüdischen Kaufhauses Kraus & Ambach von Passanten zerschlagen.

Frau Baruch, die über der Synagoge lebte, wurde die Treppe hinuntergeschmissen. Wenige Minuten später wurde ihr Nachbar von einem SA-Mann mit einem Stock geschlagen, dass – ich zitiere einen Zeugen – „das Blut wie eine Fontäne aus dem Schädel herausspritzte".

Danach wütete der Mob auch in der Wohnung von Selma und Nathan Neustädter in der Bahnhofstraße 4, deren gesamte Wohnungseinrichtung zerstört wurde und Wertgegenstände geraubt wurden.

Die Folgen dieser Nacht waren nicht nur ein Bild der Verwüstung, sondern auch die Lebenszerstörung der Jüdinnen und Juden.

Insgesamt kamen 29 Jüdinnen und Juden in Schutzhaft, wovon zwei an den direkten Folgen verstarben. Darunter Ludwig Landecker, der auf den Weg in die Schutzhaft trotz Zusammenbruchs von einem Arzt als „haftfähig" bezeichnet wurde und kurz darauf an einem Schlaganfall starb sowie Luis Loew, der vier Monate später den Folgen der Haft erlag.

Die jungen Männer wurden allesamt der Gestapo Regensburg überstellt und kamen in das KZ Dachau, wo sie – Zitat Bayerische Ostmark – „einmal spüren werden, was Arbeiten heißt".

Dieser Tag hat den Holocaust in Neumarkt und deutschlandweit eingeläutet.

Doch was geschah mit den Tätern? Naja, so gut wie nichts. Viele der Verbrecher leugneten ihre Taten und der Rest sprach von Blödsinn wie „Gruppendynamik" und „Neugier", die sie in die Synagoge und anderswo hintrieben. Besonders dreist log der lokale SA-Führer Fersch, der behauptete er wäre nicht einmal in Neumarkt gewesen obwohl es einen Tag darauf Bilder in der Zeitung gab, wo er als Redner im Lammsbräusaal zu sehen war.

Als 1950 die letzten Urteile fielen, wurden bis auf drei Bewährungsstrafen alle Täter freigesprochen.

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